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Schattenseiten Kapitel 14

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Cecilia-vas-ilion's avatar
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"Post mortem manet vacuum."

„Nach dem Tod bleibt nur die Leere“


Drei Tage waren vergangen, seitdem Helena ihr Leben gelassen hatte, als sie in einen Streit ihrer beiden Söhne eingegriffen hatte. Drei Tage, seit sämtliche Götter erfahren hatten, dass eigentlich alle Menschlichkeit meiner Selbst nur eine Illusion war, woraufhin Hermes seitdem immer wieder Versuche unternommen hatte, mich aus dem Rat der Götter zu werfen und meine Hinrichtung zu beschließen, was bisher jedoch erfolglos geblieben war. Drei Tage, in denen meine Frau mich konsequent ignoriert hatte, wobei ich doch von Zeit zu Zeit gemerkt hatte, wie sie mir doch immer wieder fragende Blicke zugeworfen hatte. Mittlerweile hatte sich fast alles geändert, was einst gewesen war: Der Himmel hatte sich dunkel verfärbt, und aus den tiefgrauen Wolken ergossen sich Regenschauer, welche die eh schon triste Atmosphäre nur noch verschlimmerten. Von den meisten Göttern wurde ich gemieden, von meiner Frau und meinem Sohn ignoriert und von Saphariel bekam ich nur von Zeit zu Zeit besorgte Blicke zugeworfen. Doch nicht nur mir war es schlecht ergangen, nein auch Scipio hatte ein weniger gutes Schicksal getroffen, denn man hatte ihn dazu verurteilt, den Rest seines Lebens als Sterblicher zu verbringen. Zwar wusste jeder, dass Scipio noch ziemlich jung war mit seinen gut 15 Jahren und dass es deshalb wohl kaum für ihn möglich wäre, ein gutes Leben zu führen in der Welt der Sterblichen, immerhin hatte man ihm alles seine Kräfte genommen. Doch das hatte Saphariel nicht interessiert, ebenso wenig wie Scipios jüngeren Bruder Felix, die beide konsequent darauf gepocht hatten, dass man den jungen Scipio verurteilen würde, auch wenn es vielmehr ein Unfall als ein wirklich geplanter Mord gewesen war. Doch so gesehen hatte er noch wirkliches Glück gehabt, immerhin gab es für den Mord an einem Gott die Höchststrafe: Den Tod.
Vielleicht war es aber auch besser für Scipio, nun als Sterblicher leben zu können, immerhin bekam er so nicht mit, was sich bei den Göttern selbst getan hatte. Denn mittlerweile waren die Streitigkeiten untereinander nur noch größer geworden, vor allem weil man nun über allerlei Dinge debattierte. Natürlich hatte Hermes nicht losgelassen mit seiner Forderung nach meiner Hinrichtung, doch er ging nun sogar so weit, dass er sämtliche Dämonen vernichten lassen wollte, weil es immerhin ein Dämon war, der den Göttern so Angst einjagte – auch wenn es vielmehr mein Dämon war, den man jedoch nicht so einfach töten konnte.
Im Gegensatz dazu standen die Götter des Lebens und des Lichts, aber auch viele der Götter, die auf meiner Seite standen, welche behaupteten, dass man die Dämonen nicht für meine eigenen Taten verantwortlich machen könnte, was zwar ihnen einen gewissen Vorteil einbrachte, mich jedoch natürlich in noch schlechteres Licht rückte. Mir war es mittlerweile egal geworden, was man von mir hielt, denn ich wusste, dass es nicht mehr besser werden konnte. Im Gegenteil, mit jedem Tag wurde es schlimmer, das spürte ich sowohl bei mir selbst, als auch bei dem Verhalten der anderen, die mir nun auf offener Straße allerhand Beschimpfungen an den Kopf warfen und auch nicht davor zurückscheuten, mich als zukünftigen Tyrann und als Monster zu betiteln. Schlimmer ging es jedoch in der Schule zu, denn dort hatten einige der Götter beschlossen, ihre Kinder nicht mehr zu mir in den Unterricht zu schicken, weshalb meine Kunstklasse nun aus meinen eigenen Kindern bestand und von Zeit zu Zeit auch aus ein paar anderen Kindern, die sich jedoch eher spärlich zeigten. Letztendlich wusste ich jedoch, dass die Eltern natürlich recht hatten mit dem, was sie über mich sagten, denn ich konnte selbst nicht von mir behaupten, dass ich jederzeit die Kontrolle über mich hätte, weshalb mir nichts anderes übrig blieb, als stillschweigend die Vorwürfe meiner Kollegen zu ertragen. 

Doch darauf lag mein jetziges Augenmerk nicht einmal mehr. Jetzt war ich wieder aus meinen eigenen Gedanken hochgeschreckt und beobachtete wieder mit einem traurigen Blick die stille Prozession zum Friedhof, die sich hier gerade ereignete. Auch wir Götter pflegten, unsere Verstorbenen auf gerechte und würdige Weise zu bestatten, und auch wenn es nur sehr selten vorkam, dass ein Gott wirklich die Welt der Lebenden verließ und seine Seele keinen Platz mehr im Universum von Ithuán fand, so konnten wir dennoch nicht einfach den Tod so hinnehmen, ohne Abschied zu nehmen. Deshalb hatte man nach dem ersten Todesfall einen Friedhof errichtet, auf dem nun sogar schon ein paar wenige Götter bestattet waren, und auf dem auch heute Helena ihre letzte Ruhe finden sollte. Der Friedhof lag am anderen Ende der Insel, direkt vor der Klippe, die ins Nichts führen würde. An manch anderen, sonnigeren Tagen hätte man nun die Welt sehen können, die einst von mir und Saphariel geschaffen worden war, doch heute sah man nichts als dunkle Wolken, die so tief hingen, dass sie uns den Blick auf die Erde verwehrten und stattdessen nur einen grauen Vorhang bildeten, auf den wir alle blickten, als wir den Weg entlangschritten, Felix folgend, welcher seine Mutter in seinen Armen zu ihrem Grab trug. Es war Tradition unter uns Göttern, dass derjenige, der dem Verstorbenen am nächsten stand, diesen dann auch zu Grabe trug, und da sowohl Ascalon als auch Scipio vom Himmel verbannt waren, war es an Felix, diese schwere Aufgabe zu übernehmen, auch wenn er sie mit Stolz und mit Fassung trug. Denn zumindest sah man ihm nicht an, dass er trauerte, vielmehr war seine Miene versteinert und ernst, während er den Blick jedoch immer zielstrebig nach vorn gerichtet hatte. In gewisser Weise tat er mir leid, dass er nun noch der einzige Gott war aus dieser Familie, doch wer wusste schon, wie gut er es verkraften konnte? Er selbst war nicht gerade der gesprächige Typ, weshalb niemand so wirklich wusste, wie es ihm in diesem Moment ging. Alles was wir erkennen konnten, waren seine Gestik und seine Mimik, die aber auch wenig über ihn verrieten, wobei ich im Stillen die Vermutung hatte, dass Felix wohl nur eine Fassade aufgesetzt hatte, um seine eigentliche Trauer und seine Furcht vor der Zukunft zu verstecken. Oder war es nur so, dass ich meine eigenen Gedanken zu lesen versuchte? Denn auch ich hatte eine Furcht vor der Zukunft entwickelt, die ich nicht so einfach abschütteln konnte. Schließlich waren überall auf der ganzen schwebenden Insel die Zeichen meines Verderbens mehr als nur deutlich erkennbar.

 

Wieder wurde ich aus meinen Gedanken und Tagträumen gerissen, als mir plötzlich meine Tochter leicht auf die Schulter tippte und vorsichtig nach vorne blickte, weil dort gerade Felix an den Sarg getreten war, den man für seine Mutter bereitgestellt hatte, und sie vorsichtig auf die purpurnen Kissen legte, auf denen das Wappen von Helena prangte: Eine Chrysantheme, umschlungen von mehreren Efeuranken. Da sie die Göttin der Pflanzen gewesen war, würde man sie unter einem ihrer liebsten Bäume begraben, auch wenn ihr Grab somit etwas abseits vom eigentlichen Friedhof der Götter lag. Auch der diamantene Sarg selbst hatte mehrere Gravuren mit Efeuranken, sodass es wirkte, als würde die Göttin der Pflanzen in einem kleinen Wald ruhen. Auf Wunsch von Felix hin hatte ich die Gravuren auf dem Sarg verewigt, wobei es auch mir schwer gefallen war. Ich hatte zwar nie viel mit Helena zu tun gehabt, doch als Frau von Ascalon hatte ich natürlich auch sie mit der Zeit liebgewonnen und so war auch ihr Tod ein Verlust für mich, den ich erst einmal verkraften musste. Vor allem, nachdem dieser Verlust einige Ereignisse mit sich gezogen hatte, die so niemals hätten geschehen dürfen. Denn allein schon die Tatsache, dass ein Gott sich aus freien Stücken vom Himmel abwendet und beschließt, sein Leben als Sterblicher zu fristen, war etwas, was bisher noch niemals vorgekommen war und dementsprechend für Aufsehen und Diskussionen gesorgt hatte. Denn während einige wollten, dass es für Götter verboten sei, das Leben als Sterbliche zu wählen, pochten andere auf das Recht der Selbstbestimmung und verlangten, dass auch weiterhin die Möglichkeit bestehe, sich von den Göttern abzuwenden um ein sterbliches Leben führen zu können. Doch nachdem man zu keiner Einigung gekommen war, hatte man die Diskussion vorerst auf Eis gelegt und konzentrierte sich jetzt erst einmal darauf, die entstandenen Lücken zu schließen, und über den Todesfall von Helena, den Ausschluss Scipios und das Verschwinden von Ascalon hinwegzukommen.
Leicht seufzte ich, als der Sargdeckel geschlossen war und wandte dann nur meinen Blick ab, weil ich es nicht ertragen konnte, dies alles mitanzusehen, vor allem, weil noch immer diese gewisse Schuld auf mir lastete, die ich nicht einfach so beiseiteschieben konnte. Deshalb blickte ich nur vorsichtig zu Isilya hinüber, die mittlerweile ihr Gesicht in den Händen vergraben hatte und herzergreifend schluchzte, weil Helena zu ihrem engsten Freundeskreis gehört hatte. Zu gerne hätte ich sie in den Arm genommen, nur um ihr zu sagen, dass alles wieder gut werden würde. Zu gerne hätte ich ihren Kopf auf meine Brust gebettet und ihre Tränen getrocknet, doch ich konnte nicht. Weder hatte ich den Mut dazu, noch fühlte ich mich selbst in der Lage, Trost zu spenden wo ich selbst im Moment eine gewisse Leere in mir spürte. Die Tatsache, dass Isilya noch immer wütend auf mich war, war mir eigentlich in diesem Moment egal, denn letztendlich liebte ich sie so sehr, dass ich über all dies hinwegsehen würde, da es in solchen Situationen eher Banalitäten waren. Doch da alles lediglich ein Hirngespinst meiner selbst war, blieb ich dort stehen wo ich war und sah mit einem tiefen Stich in der Brust zu, wie meine Frau ihre Trauer allein bewältigte, und mein schlechtes Gewissen immer größer wurde, weil ich in diesem Moment wieder einmal merkte, wie unfähig ich doch eigentlich war. Ich spielte den Großen, den Herren über die Schatten und die Dunkelheit, doch letztendlich war ich genauso zerbrechlich wie Glas. Ich versuchte, den Herrscher zu spielen, den Höchsten Gott neben Saphariel, doch eigentlich stand ich im Moment tiefer als jeder Sterbliche. Ich versuchte Gerechtigkeit über die Welt zu bringen, doch letztendlich wusste ich, dass die Gerechtigkeit mich irgendwann wieder einholen würde, wenn ich mich ihr stellen musste aufgrund meiner Taten und aufgrund dessen, was wohl noch kommen würde.
„Dad?“ Erneut weckte mich die leise Stimme meiner Tochter aus meinen Gedanken. Es kam an diesem Tag wohl eindeutig zu oft vor, dass ich mich meinen eigenen, grausamen Vorstellungen der Zukunft hingab, weshalb ich nun wieder leicht aufschreckte und dann zu ihr blickte. Ihr Blick war besorgt geworden, und nun, da sie mich so ansah, mischte sich auch noch etwas Fragendes in ihre Züge. Sie wusste einiges, mehr als mir eigentlich lieb war, doch ich hatte ihr viel erzählt in den letzten Tagen, da wir oft zu zweit im Haus gewesen waren und ich hier auf dem Klavier vorgespielt hatte. Meist war sie nebendran gesessen und hatte mich allerhand Dinge gefragt, über mein Leben, wie ich Isilya kennen gelernt hatte, und letztendlich auch, was es mit meinem Dämon auf sich hatte. Da ich wusste, dass sie es früher oder später sowieso erfahren würde, hatte ich mich dazu entschieden, auch ihr das zu erzählen, was Isilya schon längst wusste, wobei meine Tochter doch um einiges gefasster reagiert hatte und sie sogar Mitleid mit mir gehabt hatte – auch wenn das gleiche Blut ebenfalls durch ihre Adern rann. Jedoch hatte Cecilia den Vorteil, dass bei ihr nicht die Gefahr bestand, dass sie irgendwann so werden würde wie ich, immerhin hatte Isilyas Blutanteil dafür gesorgt, dass nur wenig dämonisches Blut durch die Adern meiner Kinder rann und sie somit von diesem grausamen Schicksal verschont blieben. Ich musste ehrlich sein, ich hatte eigentlich anderes von meiner Tochter erwartet, doch letztendlich war ich froh gewesen, dass wenigstens sie zu mir hielt.
„Was ist?“ fragte ich deshalb und blickte nun auch zu ihr, wobei sie nur den Blick direkt auf meine Augen warf und leicht mit der Zunge schnalzte, weil sie nicht wollte, dass wohl jemand die Aufmerksamkeit auf uns richten würde. Mittlerweile hatte ich verstanden was sie meinte, weshalb ich nur leicht seufzte und versuchte, mich wieder zu beruhigen, sodass die gelbe Farbe meiner Iris sich wieder in das normale Rot wandeln würde, welches ich doch um einiges bevorzugte. Ich muss sagen, dass Cecilias Anwesenheit die Sache um einiges erträglicher machte, zumindest konnte ich mich besser im Zaum halten seit diesem Gespräch zwischen mir und meiner Tochter vor zwei Tagen. Vielleicht lag es daran, dass ich einfach nun sicherer war und keine Angst mehr haben brauchte, dass ich sie erschrak, vielleicht war es aber auch, weil es im Moment zu viele andere Dinge gab, die mich beschäftigten, als dass ich die Zeit dazu hatte, mir allzu große Sorgen zu machen. Sicherlich, von Zeit zu Zeit spürte ich diesen Schmerz in meinem Rücken und von Zeit zu Zeit verfärbten sich meine Augen, doch ich hatte mittlerweile gelernt, die Dinge ein wenig eher in den Griff zu bekommen, sodass ich nicht mehr gezwungen war, zur letzten Möglichkeit zu greifen. Nachdem vor allem die Götter wussten, zu was ich fähig war und mich dafür des Öfteren mit strafenden Blicken bedachten, konnte und wollte ich nicht mehr zu dieser Möglichkeit greifen, weshalb ich versuchte, meinen Verstand so gut wie möglich bei mir zu behalten, um nicht wieder die Kontrolle über mich zu verlieren und nachher irgendetwas zu tun, was ich nur bereuen würde.

„Na so gefällt es mir schon wesentlich besser…“ murmelte meine Tochter und begann sogar leicht zu lächeln, bevor sie dann wieder den Arm um Gabriel legte, der sie ein wenig zu sich gezogen hatte. Er stand direkt neben mir, ebenso wie bis vor Kurzem Saphariel noch neben mir gestanden war, der jedoch nun vorne stand, und ein wenig über Helenas Leben erzählte, als eine Art Trauerrede für sie.

Ich wusste nicht viel über das Leben der einstigen Frau von Ascalon, doch da auch sie, wie ein Großteil der anderen Götter, einst selbst eine Sterbliche gewesen war, gab es viel zu erzählen. So war Helena die Tochter eines reichen Adligen aus dem Land Seraphis gewesen, welcher in der Hauptstadt von Seraphis, Arrastus gelebt hatte. Da die Stadt mitten in einem Flussdelta lag und somit das Außenland sehr fruchtbar war, hatte die kleine Helena schon früh Kontakt zu der vielfältigen Natur in den südlichen Tropen des Landes Seraphis gehabt, und mit der Zeit hatte sie auch auf ihren Wunsch hin ein eigenes Gewächshaus bekommen, wo sie  einige Pflanzen gezüchtet hatte und deren Bestandteile oft zu Medizin verarbeitet hatte. Dies hatte ihr einen erstaunlichen Ruf eingebracht, insbesondere, weil ihre Medizin oft besser wirkte als die Produkte mancher Heiler. So kam es, dass Helena auch die Gelegenheit bekommen hatte, die Köchin im Schloss von Arrastus zu behandeln, welche durch eine vergiftete Zutat schwer erkrankt war. Da der damalige König von Seraphis niemand geringeres gewesen war als mein Bruder selbst, hatte dieser aus Dankbarkeit Helena angeboten, in den Stand einer Göttin aufgenommen zu werden. So war sie, nicht lange nach ihrem Ehemann Ascalon, ebenfalls eine Bewohnerin der Himmelsinsel geworden.
Da Ascalon schon damals seine diebische Ader nicht hatte zügeln können, kam es, dass auch Helena zu seinen Opfern gehörte – er jedoch in diesem Fall den Nachteil hatte, dass er beim Stehlen von ihr erwischt wurde. Mit diesem Ereignis begann eine Liebe, die zwar von manchen Streitigkeiten geprägt war, aber dennoch auch bestimmt war von einem Zusammenhalt, den man sonst nur bei wenigen Göttern fand. Ascalon und Helena mochten vielleicht ein ungleiches Paar gewesen sein, doch nie hatte irgendjemand aus unseren Reihen daran gezweifelt, dass die zwei zueinander gehört hätten.

Das 14. Kapitel von Schattenseiten, diesmal etwas kürzer geraten.

Edit: Die lateinische Version des Titels wurde noch hinzugefügt ;)
© 2012 - 2024 Cecilia-vas-ilion
Comments8
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AeternusVotum's avatar
Uh, Helenas Geschichte ;A;
So schön, aber so tragisch geendet ...
Und ich find's schön, dass Luzi in diesen Tagen wenigstens Ceci bei sich gehabt hatte ...